Gedächtnis und Zukunft indigener Kulturen. Tagungen der Akademie Brasil-Europa für Kultur-und Wissenschaftswissenschaft

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Berichte
Auswahl aus Tagungen, Kolloquien und Sitzungen


Gedächtnis und Zukunft indigener Kulturen: Vergangenheitsverarbeitung als Voraussetzung für die Entwicklung kulturwissenschaftlicher Studien
Sitzung in der "Sala do Indio" des Itamaraty-Palastes, Rio de Janeiro 2002

Tagung der A.B.E. in der Sala do Indio, Itamaraty
Der Hauptteil der Sitzung, die zum Abschluss des Internationalen Kongresses Euro-Brasilianischer Studien 2002 im Museum Diplomatischer Geschichte des historischen Itamaraty-Palastes des Außenministeriums Brasiliens in Rio de Janeiro stattfand, wurde den indigenen Kulturen gewidmet. In bezeichnender Weise sollte im "Sala do Indio" dieses für die Geschichte internationaler Beziehungen traditionsreichen Hauses das Triennium wissenschaftlicher Arbeiten der A.B.E. "Brasil-Europa 500 Jahre" abgeschlossen werden.
Tagung der A.B.E. in der Sala do Indio, Itamaraty
In dieser Sitzung sollten allerdings - anders als bei der vorhergehenden im Museu do Indio der FUNAI - nicht Projekte und Perspektiven der Fachforschung indigener Kulturen diskutiert werden, sondern die Stellung des Indigenen bei der Entwicklung einer transdisziplinären Kulturwissenschaft im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen.

Anwesend waren neben den Angehörigen des Museums Diplomatischer Geschichte der Abt der Benediktiner-Abtei Rio de Janeiros, Vertreter der Erzdiözese, der Bundesuniversitäten von Rio de Janeiro, São Paulo, Rio Grande do Sul, Goiás und Cuiabá sowie anderer Institutionen des In- und Auslandes. Einigen Teilnehmern des vom deutschen Auswärtigen Amt unterstützten Projektes, das 1992 in Rio de Janeiro in Mitarbeit mit dem Nationalmuseum seinen Anfang nahm, sollte Gelegenheit zur Darlegung ihrer auf die Forschungserfahrungen gestützten Positionen gegeben werden.

Das Thema des letzten Teils des Kongresses, der in Rio de Janeiro stattfand, war dem thematischen Problemkreis "Gedächtnis und Zukunft" gewidmet, der unter verschiedenen Perspektiven diskutiert wurde. Vor diesem Hintergrund war die Frage der Erhaltung des Gedächtnisses der indigenen Gesellschaften selbst, die sich in Situationen beschleunigten Kulturwandels befinden, im Museo do Indio behandelt worden.

Verschiedene Ansätze und Initiativen zur Aufzeichnung mündlicher Geschichte und Kulturtraditionen wurden auch im Licht der Ergebnisse des 1992 begonnenen Projekts besprochen, das u.a. eine Erhebung des Wissens über die indigenen Kulturen - und auch des Wissens über die eigene Kultur der Angehörigen der indigenen Gesellschaften selbst - zum Ziel hatte.

Tagung der A.B.E. in der Sala do Indio, Itamaraty
Bei der Sitzung im "Sala do Indio" sollte in erster Linie das Gedächtnis der nicht-indigenen Gesellschaft Brasiliens in Bezug auf deren Haltung und Vorgehensweise gegenüber der indigenen Kultur zum Thema werden. Bereits in früheren Tagungen wie denjenigen, die 1993 im Kontrast zum vorangegangenen Kolumbus-Jahr dem indigenen Amerika und der Entwicklung einer historischen Perspektive aus indigener Sicht gewidmet waren, kam in verschiedener Hinsicht das tragische Szenarium ins Bewusstsein, das die Geschichte der amerikanischen Länder seit der Entdeckungzeit bietet. Die entfachten Prozesse führten zur Auslöschung hochstehender Zivilisationen, die z.T. ein Kulturerbe besaßen, das in vieler Hinsicht vergleichbar mit dem der Antike war, zu Gewaltakten, Ungerechtigkeiten und Tötungen großen Ausmaßes, die die Geschichte des Kontinents zutiefst befleckten und notwendigerweise seine Entwicklung belasten werden, solange diese Vergangenheit nicht verarbeitet wird.
Valber Dias. Tagung der A.B.E., Itamaraty
Es wurde bei der Sitzung hevorgehoben, dass der Verweis darauf, dass diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der bereits ferner Entdeckungs-, Eroberungs- und Kolonialzeit erfolgten und von den Voraussetzungen der damaligen Zeit heraus zu verstehen sind, nicht angemessen ist. Sie sind nicht nur den Spaniern und Portugiesen jener Zeiten anzulasten, sondern wurden noch in späteren Jahrhunderten begangen. So werden allmählich die Unmenschlichkeiten durch die Forschung aufgedeckt, die im 19. Jahrhundert z.B. in Gebieten europäischer Kolonisation in Südbrasilien gegenüber der indigenen Bevölkerung begangen wurden. Überhaupt ist als ein untilgbarer Fleck in der Geschichte der amerikanischen Staaten die Tatsache anzusehen, dass die größten Exterminationen
Julieta de Andrade. Tagung der A.B.E., Itamaraty
nicht in der Kolonialzeit, sondern nach den Unabhängikeiten erfolgten. Dieses Problem sollte das Gedächtnis nicht nur der Neuen Welt, sondern auch von Europa belasten, das die Prozesse in Gang gesetzt hat.
Nur eine Auseinandersetzung mit der Entwicklung bei der Begegnung von Europa mit den amerikanischen Völkern kann das Ausmaß des Geschehenen ins Bewusstsein rufen. Wenn dabei nicht nur das Gefühl der Schande und der Empörung ausgelöst, sondern auch das Streben nach Erkenntnis der Gründe solcher Irrungen der Neuzeit hervorgerufen wird, kann diese kritische Verarbeitung der Vergangenheit zur Voraussetzung werden für die Entwicklung einer
M. A. Calado Rodrigues. Tagung der A.B.E., Itamaraty
Kulturwissenschaft in globalen Zusammenhängen.

Für diese Entwicklung ist eine Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Prozesshaftes und eine Auseinandersetzung mit den Ansätzen und Methoden für dessen Analyse erforderlich. Nach der Tradition des Denkens, der sich die A.B.E. verpflichtet fühlt, darf die Kulturwissenschaft Fragen der Ethik nicht aus den Augen verlieren.

In ihrem Vortrag, hob Frau Prof. Dr. Maria Augusta Calado Rodrigues von der Bundesuniversität Goiás die komplexen und paradox erscheinenden Beziehungen zwischen den Entwicklungsplänen rezenter Jahrzehnte, die mit der Erschließung Zentralbrasiliens und Amazoniens zusammenhingen, und den Studien der indigenen Kulturen hervor. Sie verwies dabei auf die Archive des Staates Goiás, deren Daten das Gedächtnis der Durchdringung von Natur und Kulturen durch die Fronten des 20. Jahrhunderts bewahren, z.B. im Klangarchiv des Instituts für Vorgeschichte und Archäologie der Katholischen Universität von Goiás, das von Wolf Jesco von Puttkamer (1919-1994) gestiftet wurde.





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