Akkulturation- Auseindersetzung mit einem Begriff in Theorie und Praxis. Akademie Brasil-Europa für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

Akademie Brasil-Europa

für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

 


Chroniken
Auswahl aus früheren Veranstaltungen


Akkulturation - Auseindersetzung mit einem Begriff in Theorie und Praxis
Gesprächsrunde bei den Internationalen Kursen von Paraná, Curitiba, 1969

Curitiba, Parana
Der Begriff Akkulturation beherrschte die theoretischen Überlegungen in verschiedenen Fachbereichen Brasiliens in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Er wurde im erziehungswissenschaftlichen Fachbereich und mit anderen Sinngebungen in der Sozial- und soziologisch ausgerichteten Kulturanthropologie verwendet. Wenn in pädagogischer und lernpsychologischer Sicht vor allem die geleitete Erziehung beim Vorgang des Hineinwachsens der Jugendlichen in die Kultur im Vordergrund stand, wurde der Begriff in der Sozialanthropologie vor allem in Bezug auf die Prozesse des Wandels bei der Begegnung von Kulturen verwendet. Der Ausdifferenzierung des akkulturativen Vorganges hinsichtlich indigener Gesellschaften widmete sich vor allem Egon Schaden. Bei seinen Überlegungen wurden neben der Betrachtung theoretischer Ansätze beim Studium des Kulturwandels auch pragmatische Aspekte einner akkulturativen Politik berücksichtigt. Die Interaktion von Theorie und Praxis kennzeichnete in vielen Fällen die vom Akkulturations-Begriff geprägte Diskussion.
VI Internationaler Kurs von Paraná
Auch die Volkskunde gewann neue Impulse durch die Verwendung des Begriffes. Er ersetzte dabei oft die früher verwendeten Bezeichnungen "Einfluss" bzw. "Beitrag" zur Formung einer nationalen Kultur. So wurde bei tradierten Kulturerscheinungen nicht mehr von indianischem oder afrikanischem Einfluss bzw. Beitrag, sondern - in nicht immer präziser Formulierung - von (Ergebnissen) indianischer oder afrikanischer Akkulturation gesprochen. In bestimmten Kreisen der Volkskunde - so des Museums der Brasilianischen Gesellschaft für Volkskunde São Paulos - folgte man vor allem erziehungswissenschaftlichen und sozialpsychologischen Erkenntnissen, die die Aufmerksamkeit nicht auf Erziehung, sondern auf informelles Lernen und nicht-geleitete Kulturformung richteten. Zugleich wurden die Auffassungen vom Begriff der Enkulturation im Sinne des unbewusst erfolgenden Sozialisationsprozesses beeinflusst. Angeregt durch diese Sichtweisen wurde sogar den Gegenstand der volkskundlichen Forschung neu definiert: man sprach von spontan verlaufenden Vorgängen oder gar von "spontaner Kultur". Die Probleme, die spürbar wurden, resultierten aus der Harmonisierung dieser neuen Sichtweise mit den herkömmlichen Unterscheidungen von Kultursphären - "gelehrt", folk und popular -, die als Kategorisierungen des Forschungsgegenstandes Fachbereiche bestimmten.

Ein bedeutendes Moment in der Auseinandersetzung mit dem Begriff im Bereich der Kulturstudien waren die Gesprächsrunden zur Akkulturation, die im Rahmen des Internationalen Kurses von Curitiba 1969 stattfanden. Die Diskussionen wurden aus der Perspektive der Bestrebungen der liturgischen, pastoralen und kirchenmusikalischen Erneuerung geführt, die in der Folge des II. Vatikanischen Konzils entstanden waren. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff verlangte die Berücksichtigung seiner Anwendung in den erziehungswissenschaftlichen, sozialanthropologischen und volkskundlichen Publikationen und sein Verständnis aus der Sicht der vom Konzil geforderten Beachtung der verschiedenen Kulturen und die Schaffung kulturell geeigneter Ausdrucksweisen bei der Gestaltung des Kultes. Auch hier waren demnach theoretische Überlegungen eng gepaart mit pragmatischen Zielen, mit Planung von Strategien und Schaffung von neuer, für diesen Zweck geeigneter Musik. Die Diskussion wurde vor allem von Prof. Dr. José de Almeida Penalva angeregt und geführt. Er selbst verfasste Schriften über die Akkulturation und schuf Musikmaterialien im Dienst der praktischen Realisierung der akkulturativen Auffassungen. Zahlreiche andere Theologen, Geistliche, Kirchenmusiker, aber auch weltliche Musiker, Volkskundler und Interessenten nahmen an Kursen und Workshops teil, die die Akkulturation behandelten. Hervorgehoben haben sich dabei u.a. Pe. Nereu de Castro Teixeira, Pe. Victor da Silva, D. João Evangelista Enout OSB, Nicole Jeandot, Ernst Mahle und Osvaldo Lacerda.

Das Problem, das aus diesen Bestrebungen resultierte, lag in der Aufrechterhaltung alter Vorstellungen nationalistischer Zeiten, sodass die Akkulturation in dem Sinne verstanden wurde, dass der Vorgang der Assimilation der Menschen in einer Gemeinschaft und ihre Identifizierung mit einer Kultur zu fördern sei, die nationale Charakteristiken trägt. Damit konnten sich nationalistisch eingestellte Forscher und schaffende Musiker problemlos in die neuen Bestrebungen einfügen und deren Träger werden. Die pragmatischen Bemühungen und Strategien im Sinne des akkulturativen Gedankens ermöglichten unter neuen Vorzeichen ein erneutes Aufleben des Nationalismus.





Sitemap


Die Akademie

Zielsetzung und Geschichte   -   Organisation   -   Studienzentrum   -   Archive

Aktivitäten

Forschungsprogramme   -    Themen   -   Berichte   -   Chroniken

Online-Zeitschrift

Revista Brasil-Europa

Institutionelle Bindungen

Brasil-Europa   -   I.S.M.P.S. e.V.

Allgemeines

Kontakt   -   Impressum