Kulturwissenschaftlicher Ansatz in der Popularmusikforschung. Akademie Brasil-Europa für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

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Kulturwissenschaftlicher Ansatz in der Popularmusikforschung
Gesprächsrunden bei der Show "Blow up" - São Paulo, Rio de Janeiro, Belo Horizonte, Salvador, Fortaleza, Brasília, Curitiba, Porto Alegre

Die Bewegung zur Erneuerung der Kulturstudien in Brasilien setzte mit der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen historischer und empirischer Musikforschung 1966 ein (siehe Bericht). Dies hing mit dem Problem der Definition von Disziplinen auf Grund von Kategorisierungen des Untersuchungsgegenstandes zusammen. Die Musikgeschichte richtete sich auf die Kunstmusik, die (musikalische) Volkskunde auf eine komplex bestimmbare Volkskultur. Es wurde bei diesen Kategorisierungen noch die Sphäre der Popularmusik von der Volkskunde unterschieden. Verschiedene Kriterien wurden bei dieser Differenzierung herangezogen; u.a. wurde auf die maßgebliche Rolle der technischen Kommunikationsmittel, der Massenmedien und wirtschaftlicher Interesse hingewiesen. Auch wurde der Unterschied durch die Art und Weise des Erlernens und der Sozialisation erklärt.

J. Ramos Tinhorão Música Popular um Tema em Debate
Die Popularmusikforschung befand sich um 1970 in einem inzipienten Zustand. Einige Autoren verfuhren nach Art der Musikgeschichtsschreibung und strebten einer Popularmusikgeschichte an. Die Aufmerksamkeit richtete sich primär auf Entdeckung, Sammlung und Durchsicht der bis dahin vernachlässigten Quellen - frühere Schallplattenaufnahmen, Zeitungsartikel, Werbematerialien, Fotografien, Filme,  Radio- und Fernsehaufzeichnungen. Es lag jedoch nahe, durch Interviews wertvolle Informationen zu erhalten, die bei der Rekonstruktion von Entwicklungen hilfreich waren. Sowohl historische als auch empirische Verfahrensweisen wurden somit bei der Popularmusikforschung in besonders intensiver Weise eingesetzt, die dadurch zu einem wichtigen Gegenstand der theoretischen Diskussion wurde.

Die Frage der Beziehungen und Abgrenzungen zwischen Volks- und Popularmusik beschäftigten sowohl Volkskundler als auch diejenigen Forscher, die sich mit der Popularmusik befassten. Autoren, die in ihrer Sichtweise von der Volkskunde geprägt waren, welche durch ihre Instrumentalisierung zur Zeit des autoritären Systems der Vergangenheit durch nationalistische Auffassungen belastet war, vertraten wertende Ansichten bei der Interpretation von Entwicklungen. Sie unterschieden zwischen Musikstilen,  -formen und -gattungen, die der volksmusikalischen Tradition nahestanden, und solchen, die überfremdende Einflüsse internationaler Musiktendenzen erkennen ließen, welche für eine musikalische Brasilianität schädlich seien. Erst allmählich konnten Ansätze vernommen werden, Musikströmungen, die der internationalen Popularkultur verpflichtet waren, nach durchdachten Kriterien angemessen nach ihren eigenen Voraussetzungen bzw. wertneutral zu betrachten. 

Die 1968 gegründete Organisation für Studien von Kulturprozessen (ND), die die Entwicklung einer transdisziplinären Kulturforschung anstrebte, suchte die Bestimmung der einzelnen Disziplinen nach Kultursphären bzw. nach Kategorisierungen des Gegenstandes der Betrachtung zu überwinden und die Aufmerksamkeit auf Prozesshaftes in Theorie und Praxis zu richten. Gelegenheit zum Gedankenaustausch und zu praktischem Zusammenwirken von Künstlern aus der Sphäre der Kunst- und der Popularmusik ergab sich bei einer Show, die 1970 nach mehreren Monaten in São Paulo in verschiedenen Städten Brasiliens aufgeführt wurde. An ihr nahmen Mitglieder der Gesellschaft teil, die die Entwicklung einer Kulturwissenschaft anstrebte, Dirigenten, die sowohl in der Kunst- als auch der Popularmusik wirkten und sich für eine Interaktion beider Sphären einsetzten, Musiker aus der Sphäre der Alten und der Neuen Musik, die sich der Verbreitung eines neuen Repertoires widmeten sowie mehrere gefeierte Popsänger verschiedener Richtungen. Bei der intensiven, monatelangen Zusammenarbeit, vor allem während der Aufenthalte in Staaten des Nordostens und des Südens von Brasilien, ergaben sich Möglichkeiten für intensiven Gedankenaustausch, Teilnahme an Volksfesten und Begegnungen mit Forschern und Interessenten in den verschiedenen Regionen.

Das Thema der Show war kulturwissenschaftlicher Natur. Es ging um das Werden bzw. um die Konstruktion eines "Stars". Eine relativ unbekannte Sängerin sollte am Ende des Unternehmens zu einem gefeierten Star geworden sein. In der Tat wurde sie zu einer bekannten und einflussreichen Popkünstlerin, die über Jahrzehnte eine maßgebliche Rolle in der Popularmusik Brasiliens spielen sollte. Dazu wurden die Methoden der Konstruktion eines Bildes in der Praxis erprobt. Der Konfiguration des Spektakels wurde von Gesprächsrunden vorbereitet, an denen Kommunikationstheoretiker sowie Vertreter von Medien und Werbung teilnahmen. Die Aufenthalte in den verschiedenen Städten Brasiliens wurden mit Debatten mit örtlichen Experten aus verschiedenen Kultursparten sowie Vertretern von Rundfunk, Fersehen und Zeitungen begleitet. Eine besondere Bedeutung erlangte eine längere Spielzeit am Theater Manchete in Rio de Janeiro. Im Konferenzsaal des Hotels Gloria fanden die Gesprächsrunden statt, an denen auch Popularmusikforscher und Volkskundler teilnahmen. In Salvador fanden die Begegnungen im Theater Castro Alves und an der Universität statt. In Fortaleza wurde u.a. ein Treffen im Musikkonservatorium Alberto Nepomuceno organisiert, das eines der umfangreichsten Sammlungen von Tonträgern brasilianischer Popularmusik besaß.

Antonio Alexandre Bispo





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