Deutschland/Brasilien: Systemische Ansätze bei Studien von Kulturprozessen. Studienzyklus der Akademie Brasil-Europa für Kultur-und Wissenschaftswissenschaft

Organisation für Studien von Kulturprozessen
in internationalen Beziehungen

Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes - ISMPS e.V.

Vorsitzender:
Prof. Dr. Antonio Alexandre Bispo

Akademie Brasil-Europa

für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

 


Themen
Auswahl von Fragenkomplexen, die in rezenten Studienprojekten der A.B.E. behandelt wurden


Deutschland/Brasilien. Systemische Ansätze bei Studien von Kulturprozessen (2009)

Die systemische Theorie, die mit dem Namen des Soziologen Niklas Luhmann (1927-1998) besonders verbunden ist, prägt seit Jahren die Debatten in verschiedenen Fachbereichen und Projekten interdisziplinärer Kooperation. In einigen Situationen führt sie zu Polemiken, die nicht immer zur Klärung von Fragen, zur Ausdifferenzierung der theoretischen Ansätze und zur Entwicklung des Denkens führen. Dies ist der Fall in der Musikforschung, in der Vertreter der Musikethnologie sich bemüht fühlen, einen Kampf gegen systemische Ansätze zu führen. In ihrer konventionellen Sichtweisen verhafteten Argumentation lassen sie eine Verkennung des theoretischen Ansatzes und der Entwicklung der kulturwissenschaftlichen Diskussion erkennen.

Diese sachlich nicht adäquate Polemik war wenig hilfreich und sogar kontraproduktiv für die Entwicklung der kulturwissenschaftlich geprägten Musikforschung und insgesamt für eine transdisziplinäre Kulturforschung, die sich dagegen durchsetzen mussten. Sie belastete über Jahre und in ihren Konsequenzen nachhaltig die internationale Zusammenarbeit mit denjenigen brasilianischen Forschern, die seit den siebziger Jahren einer ganz anderen Orientierung der Ethnomusikologie innerhalb einer kulturwissenschaft geleiteten Musikforschung vertraten.

Aus der Sicht der A.B.E., die die Durchfürung von Kulturstudien in engem Zusammenhang mit der Betrachtung der Forschung selbst und ihrer Netzwerke fordert, lässt sich diese Polemik nur durch Analysen des Netzes der beteiligten Forscher, ihrer Voraussetzungen, ihrer personalen Abhängigkeiten und Interessen erklären. Wie in einer viel beachteten Diskussion, die in der Zeitschrift Universitas 1998 ausgetragen wurde, ins Bewusstsein gebracht wurde, beeinflusst eine spürbarer Verlust an Anerkennung, Bedeutung, Einflussmöglichkeiten und somit Macht der Geisteswissenschaften die Argumentation der Forscher, die sich verpflichtet fühlten, die Bedeutung ihrer Disziplinen zu rechtfertigen.

Um trotz dieser konfliktreichen, unsachlichen Polemik die theoretischen Bemühungen zu reflektierter Untersuchung von Kulturprozessen im internationalen Rahmen voranzutreiben, wurden eine Reihe von Studien durchgeführt, die sich, ausgehend von der seit Ende der sechziger Jahren in Brasilien in Gang gebrachten Entwicklung, mit den rezenteren Ansätzen und Tendenzen des Denkens auseinandersetzen sollten.

Die Organisation für Studien von Kulturprozessen wurde 1968 in São Paulo mit dem Ziel gegründet, eine Erneuerung der Kulturstudien durch die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Prozesshaftes zu bewirken. Die Kategorisierung von Kultursphären als Gegenstand der Betrachtung - die Studienfelder und Disziplinen bestimmt - sollte durch die verstärkte Beachtung von Prozessen, die zwischen diese Bereichen verliefen allmählich überwunden werden. Dadurch sollte der Entwicklung einer transdisziplinären Kulturforschung der Weg bereitet werden. Dieses Anliegen stützte sich auf die analoge Verwendung eines Denkmodells aus den Naturwissenschaften. Gleichzeitig setzte eine eingehende Auseinandersetzung ein mit Fragen der Kulturdiffusion unter der soziologischen Sicht von Alphons Silbermann und vor allem der Kommunikationstheorie, zu deren herausragendsten Vertretern in São Paulo Décio Pignatari zählte.

Bei den Überlegungen wurde hervorgehoben, dass der Ansatz von Luhmann sich vielfach von Auffassungen über die Kommunikation unterschied, und diese Unterscheidung sollte in der Kulturwissenschaft beachtet werden. Die Kommunikationstheorie sollte nach Luhmann zusammen mit der Systemtheorie gedacht werden. Das System würde von der Operation produziert und die Kommunikation sollte als diese Operation verstanden werden. Dieser Ansatz unterscheidet sich somit von Ansichten über die Kommunikation, in denen diese vor allem als ein Übertragungsprozess zwischen einen Emittenten und einen Rezepienten verstanden wird und der Beobachter die Stellung des Emittenten oder des Rezepienten annehmen und sich gleichsam aktiv oder passiv positionieren kann.

Durch dieses Konzept der Kommunikation im Sinne einer Übertragung  hatte sich die Aufmerksamkeit auf Fragen konzentrierte, die sich auf den übertragenen Inhalt, auf Prozesse der Übertragung und auf Interferenzen auf dem Übertragungsweg bezogen. Gestützt auf Humberto Maturana wird diese Kommunikation als ein Prozess sui generis angesehen, der sich multipliziert, indem bei der Weitergabe nichts verloren geht. Dieser Prozess konnte auch im Sinne der Produktion überschüssigen Wissens verstanden werden. An die Stelle des Übertragungsmodells tritt in den Überlegungen die Triade aus Information, Kommunikation und Verständnis.


Veröffentlichte Texte

Unvermeidlichkeit und Kompensation? Funktion einer Wissenschaft der Kultur im interdisziplinären Dialog

Zur "Nützlichkeit" der Kulturwissenschaft in der internationalen Kooperation

Multidisziplinarität in euro-brasilianischen Kulturstudien, interdisziplinäre Kooperation und transdisziplinäre Kulturforschung

Kommunikation in komplexen Kulturkontexten und systemische Theorie

Intersubjektivität als metadisziplinäre Kategorie? Kommunikation und Soziologie

Konsenz und/oder Option in der kommunikativen Handlung

Observation zweiten Grades und "sehen, was andere nicht sehen"

Ausdifferenzierungen in der Konzeption von Autopoiesis und autopoetischen Systemen

Von der Auto-Organisation unter kulturtheoretischer Perspektive

System als Differenz. Differenz zwischen System und Umwelt