Ukraine/Brasilien: Studien des europäischen Ostens und Euro-Brasilianische Studien. Studienzyklus der Akademie Brasil-Europa für Kultur-und Wissenschaftswissenschaft

Akademie Brasil-Europa

für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

 


Themen
Auswahl von Fragenkomplexen, die in rezenten Studienprojekten der A.B.E. behandelt wurden


Ukraine/Brasilien. Studien des europäischen Ostens und Euro-Brasilianische Studien (2009)

Bei der A.B.E.-Tagung zu Interkulturellen Studien, die in São Paulo und Rio de Janeiro zur 450-Jahr-Feier von São Paulo 2004 veranstaltet wurde, hob eine Teilnehmerin aus der Ukraine in einem Vortrag hervor, dass ihr Land, das durch seine Dimensionen, Geschichte und gegenwärtige Entwicklung eine bedeutende Stellung in Osteuropa einnimmt, zu wenig in den Kulturstudien berücksichtigt wird.

Für Brasilien ist die Berücksichtigung von Kultur- und Wissenschaftsfragen, die die Ukraine betreffen, von besonderer Bedeutung, da das Land Bevölkerungsteile besitzt, die auf ukrainischen Einwanderer zurückgehen.

Für die A.B.E., die sich in eine Entwicklung einfügt, die auf einen in Osteuropa entstandenen Zirkel zurückgeht, ist die Auseinandersetzung mit der Ukraine in ihren kulturgeschichtlichen Kontexten eine Notwendigkeit zur Klärung von Fragen, die ihre eigene Geschichte betreffen. In diesem Sinne wurden in Odessa und Jalta Kenntnisse, die sie aus ihrer Überlieferung besitzt, im Jahre 2003 an Ort und Stelle besprochen und Erfahrungen gesammelt, die Anregungen zu weiteren Studien vermittelten.

Um diese fortzuführen, wurde 2009 eine Studienreise nach Kiew realisiert, bei der verschiedene Institutionen besucht und die Entwicklung ukrainischer Kulturstudien und die Tendenzen des Denkens und der Forschung beobachtet wurden. Das Kennenlernen ukrainischer Forschungsinstitutionen, Museen und Akademien stellte eine Vorbedingung für die weitere Arbeit dar, die Kooperationen erfordert.

Mit dem Hauptanliegen, den Wissensstand zu aktualisieren, wurde die Aufmerksamkeit besonders auf die Kulturveränderungen gerichtet, die seit dem Ende der Sowjetunion und der Unabhängigkeit des Landes eingetreten sind. Dabei wurde vor allem auf die Wahrnehmung des Wandels durch eine kulturwissenschaftlich orientierte Lektüre von Monumenten und Bauten geachtet. Permanenz und Veränderung von Denkmälern gewordenen Anschauungen aus kommunistischer Zeit wurden u.a. bei Auseinandersetzungen mit dem emblematischen Monument der "Mutter Erde" (Mat Rodina) im Licht anderer stadtprägender Statuen wie in New York und Rio de Janeiro diskutiert.

Die De- und Rekonstruktion von Gebäuden in ihren zeichenhaften Beziehungen zur Umorientierung des Staates im Verlaufe der Geschichte konnte anhand des Michaelisklosters betrachtet werden. Am Beispiel der Sophia-Kathedrale wurde die Rolle der sakralen Architektur beim Prozess der durch das Christentum eingesetzten Kulturtransformation im Mittelalter besprochen. Dabei wurden die epochen- und kulturbedingten Unterscheidungen zwischen Mechanismen der Kulturformung und der Durchsetzung einer christlich geprägten Identität im Osten und in Brasilien diskutiert und dabei die andersgearteten Formen des religiösen Lebens durch das Anachoretentum in der Welt der Ortodoxie hervorgehoben.

Diese Auseinandersetzung konnte durch Vergleich der Zeichensprache westlicher Traditionen mit einer von der Ikone geprägten Bilderwelt des christlichen Ostens vertieft werden. Die Aktualität dieser Bemühungen ergab sich vor allem aus der international - auch in Brasilien - gefeierten Translation der Theotokos-Ikone vor 450 Jahren. Da die für das Geschichtsbewusstsein beider Länder grundlegende Christianisierung eng mit der Schriftkultur zusammenhängt, wurde des Verhältnisses zwischen Bild und Schrift an der hierfür geeigneten Institution gedacht, nämlich im Museum des Buches am Höhlenkloster Kiew-Pechersk Lavra.

Eine bemerkenswerte Parallele in der Kulturgeschichte beider Nationen stellt die Bedeutung des Barock dar, was eingehende Klärungsbemühungen erfordert und zur Ausdifferenzierung der Diskussion über den Barock beitragen kann. Im Rahmen der Arbeiten der A.B.E. wurden Fragen des Barock in Brasilien unter verschiedenen Aspekten diskutiert, wobei die Beziehungen zu einem als prozesshaft verstandenen Kolonialismus und zu katholischen Reformbestrebungen im Vordergrund der Aufmerksamkeit standen, denn nur der Blick auf Prozesse kann gegenwärtige Kulturerscheinungen, auch im Bereich der Popularkultur, die sich auf den Barock beziehen, erklären. Die Blüte des Barock in der Welt der Ortodoxie zeigt jedoch, dass Deutungen allein aus der Perspektive katholischer Entwicklungen nicht ausreichend sind und neue Wege gefunden werden müssen, um die bemerkenswert erscheinende Vereinbarkeit einer visuellen Welt, die traditionell von der Ikone geprägt ist, mit der des Barock zu ergründen.

Parallelen und Vergleichen konnte auch - mit umgekehrten Vorzeichen - in Bezug auf den Neo-Byzantinismus in der Ukraine und in Brasilien nachgegangen werden. Bei allen solchen Versuchen stand stets die methodologische Frage nach der adäquaten Vorgehensweise im Raum. Da die Komparatistik eine bedeutende Rolle bei Studien der Literatur und Ethnographie von ukrainischen Autoren spielt, schien es notwendig, die unterschiedlichen Konzepte des Vergleichs und ihre Kritik selbst zum Gegenstand der Untersuchung zu machen.


Veröffentlichte Texte

Embleme und Monumente des Gedächtnisses in Zeiten des Wandels. Die Mat Rodina und der sozialistische Realismus bei veränderten kulturpolitischen Ausrichtungen

De-Konstruktionen und Re-Konstruktionen von Bauten und Denkgebäuden. Symbolische Umorientierung von Staaten am Beispiel des Michaelisklosters

Ausstrahlung der Form: die ästhetische Erfahrung bei der Annahme christlicher Identität im Osten und im Westen. Reflexionen in der Sophia-Kathedrale

Differenzen in der Kulturformung des Ostens und in Brasilien. Anachoreten in der Welt der Orthodoxie. Studien im Höhlenkloster Kiew-Pechersk Lavra

Bildersprache im Westen und die Anthropologie der Ikone. 450 Jahre nach der Überführung des Theotokos

Bild, Schrift und Sprache in Prozessen der Kulturveränderung: "Bücher als Quellen von Flüssen der Weisheit"

Kosaken-Barock und Barock in Minas Gerais. Interkulturelle und interreligiöse Übungen des Lesens und Deutens am Beispiel der Kirche des hl. André von Kiew

Neo-Byzantinismus unter interkulturellen Perspektiven. Kathedrale S. Wladimir in Kiew und Benediktiner-Abtei S. Paulos

Vergleich von Komparatistiken. Von der literarisch orientierten Ethnographie zu den neuen Tendenzen der Kulturstudien

Ukrainischer katholischer Gesang in der Immigration und die traditionelle Praxis des Gregorianischen Chorals in Brasilien

Interkulturelle Annäherungen zum Studium der traditionellen Musikkultur der Ukraine

Ukraine und Brasilien in musikgeschichtlicher Perspektive globaler Kontexte und Beziehungen





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