Deutschland/Brasilien im Schiller-Jahr. Über die ästhetische Erziehung des Menschen aus kulturwissenschaftlichen Sichten. Studienzyklus der Akademie Brasil-Europa für Kultur-und Wissenschaftswissenschaft

Akademie Brasil-Europa

für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

 


Themen
Auswahl von Fragenkomplexen, die in rezenten Studienprojekten der A.B.E. behandelt wurden

Deutschland/Brasilien. Schiller-Jahr: "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" aus kulturwissenschaftlichen Sichten

Zum Anlass der 250. Geburtstages von Friedrich von Schiller (1759-1805) wurde ein Zyklus von Studien zu Schillers Text "Über die Ästhetische Erziehung des Menschen" unter kulturwissenschaftlichen Sichtweisen durchgeführt. Dabei sollten Diskussionen aufgegriffen und aktualisiert werden, die bei der Einführung des Faches Ästhetik im Rahmen der Reform des Hochschulsystems und der Lehrerausbildung in Kunstfächern und Musik in Brasilien zu Beginn der 70er Jahre geführt wurden. Sie erfolgten damals interdisziplinär unter einer Kommission, die von den Kunst- und Musikhistorikern Prof. Paulo Ramos Machado, Prof. Dr. Flavio Motta, Lehrstuhlinhaber für Ästhetik und Kunstgeschichte der Fakultät für Architektur und Städtebau São Paulos, und dem designierten Fachvertreter geleitet wurde, der zugleich für die Einführung der Ethnomusikologie in Brasilien zuständig war.

Die Diskussion hatte als Ziel, die Ästhetik im Sinne einer kulturwissenschaftlich orientierten Disziplin einzuführen. Sie fügte sich in eine Bewegung ein, die sich seit einer Tagung 1966 mit den Beziehungen zwischen empirischen, historischen und systematischen Kulturstudien beschäftigte und eine Erneuerung der Kulturstudien durch die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Prozesshaftes anstrebte.

Diese Bewegung führte 1968 zur Gründung der Organisation für Studien von Kulturprozessen, welche die Entwicklung einer transdisziplinären Kulturwissenschaft zum Ziel hatte. Im Bereich der Musikforschung wurde 1970 ein Zentrum für kulturwissenschaftlich ausgerichtete musikwissenschaftliche Studien als das erste Institut seiner Art ins Leben gerufen. Die Einführung der Ethnomusikologie in das Universitätsstudium auf Grund von Entscheidungen des Kulturrates der Zentralregierung verlangte eingehende Debatten, die ebenfalls von einer Expertenkommission geleitet wurden. Bis dahin waren die empirischen Kulturstudien vom Fach Volkskunde im Rahmen der Lehrerausbildung für Kunstfächer vertreten worden, die nach nationalistischen Kriterien der 30er und 40er ausgerichtet war. Im musikalischen Bereich stand die Volkskunde eng mit einem Musikschaffen und Konzertleben in Zusammenhang, die ebenfalls von nationalistischen Anschauungen geprägt waren. Die Einführung der Ethnomusikologie - die von manchen in unreflektierter Weise als eine neue Bezeichnung des Faches musikalische Volkskunde angesehen wurde - ließ Fragen hinsichtlich ihrer Auwirkungen auf die Komposition und das Kunstschaffen und somit auf die ästhetischen Tendenzen auftreten. Beide Hochschuldisziplinen standen somit in der Diskussion in einer engen Beziehung.

Die Ethnomusikologie wurde in der Zeit der Militärdiktatur mit einer außerordentlichen Gewichtung im Fächerkatalog des Hochschulsystems eingeführt und ließ den politischen Willen zur Orientierung nach nordamerikanischen Modellen erkennen. Diese Feststellung führte zur Einsicht in die Notwendigkeit, das Fach in dem Sinne zu betreiben, dass seine Kontextualisierung,  seine Implikationen, seine Geschichte und seine Voraussetzungen mit aufmerksamer Überprüfung der vertretenen Auffassungen sowie der Netzwerke seiner Forscher in den Vordergrund der Aufmerksamkeit treten sollten. Angestrebt war eine kulturtheoretisch orientierte Musikwissenschaft innerhalb einer transdisziplinären Kulturwissenschaft, und dem konnte die Ethnomusikologie mit dieser Bezeichnung nur und ausschließlich als Teildisziplin entsprechen.

Schillers "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" gehörte zu den Texten, die bei den vorbereiteten Diskussionen zur Einführung des Faches Ästhetik im Programm der Lehraus- und -fortbildung im Hochschulbereich studiert wurden. Es ging darum, die Texte unter verschiedenen fachlichen Gesichtspunkten zu besprechen und anschließend in interdisziplinärer Diskussion Wege zu Sichtweisen zu gewinnen, die der angestrebten Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Prozesshaftes entsprachen.

Durch die Entwicklung der kulturwissenschaftlichen Studien in den darauffolgenden Jahrzehnten, vor allem seit der internationalen Tagung zu Fragen der Symbolischen Anthropologie in São Paulo 1988, schien es sinnvoll und angebracht, diese Diskussion der 70er Jahre aufzugreifen und fortzuführen. Bemerkenswert waren die Analogien zwischen dem Zeichensystem überlieferter Kulturpraktiken mit seinen Beziehungen zum Menschenbild und den Auffassungen, die in den Überlegungen von Schiller in Erscheinung treten.

Diese Feststellungen riefen ins Bewusstsein, dass eine adäquate Auseinandersetzung mit solchen Analogien nur in Kooperation zwischen denjenigen, die sich kulturwissenschaftlichen Studien über nationale und Sprachgrenzen hinaus widmen, und Literaturwissenschaftlern, Germanisten und Philosophen durchzuführen ist.

Das Studienprojekt wurde mit einer Sitzung in der Akademie für Literatur São Paulos im Rahmen des internationalen Kolloquiums interkultureller Studien zum 450. Gründungsjahr der Stadt São Paulo unter Leitung von Prof. Dr. E. Rosenthal und Prof. Dr. A. A. Bispo eröffnet. Es nahmen Vertreter der Brasilianischen Gesellschaft für Volkskunde sowie der Universitäten São Paulo, Goiás, Rio Grande do Sul, Rio de Janeiro, Bonn und Köln teil.

Zum Anlass des Schiller-Jahres 2009 wurden die ersten Ergebnisse der Studien erörtert. Sie betreffen die ersten 12 Abschnitte des Textes. Die übrigen werden Gegenstand der Erörterung in einer folgenden Sitzung sein. Es wurden u.a. folgende Fragenkomplexe behandelt:

Rational-analytische Vorgehensweise und der kunsthaften Charakter der ästhethischen Reflexion

Freiheit als Kunstwerk, die Kunst als Ergebnis der Freiheit und das Schöne als Weg zur Freiheit

Von der physischen Notwendigkeit zu ethischen Forderungen und die Erweckung des Humanum: Wiedergewinnen eines idealen ethischen Zustandes

Der Mensch in der Zeit und in der Idee und zwei Typen von Staaten. Vom wilden und vom barbarischen Zustand

Politischer Aufbau in Freiheit. Rückentwicklung zum wilden und zum barbarischen Zustand. Negative Rolle der Kultur

Einheitsstiftende Natur und ausdifferenzierende Vernunft. Einteilung der Wissenschaften. Antagonismus als Instrument

Überwindung der Trennung von Impulsen und von Konflikten im Inneren des Menschen

Sapere aude. Erleuchtung des Mentalen, Charakter und Bildung der Fähigkeit des Fühlens

Kontrolle der Natur im wilden und im barbarischen Zustand. Kritik der ästhetischen Kultur und Auffassungen vom Schönen

Das Innere zum Ausdruck bringen und das Äußere formen. Freiheit und Zeit im Begriff der Persönlichkeit

Impulse der Sinne und der Form. Veränderung als Inhalt der Zeit und das Anliegen der Gerechtigkeit





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