Schumann in kulturwissenschaftlich orientierter Musikforschung: Deutschland/Brasilien. Studienzyklus der Akademie Brasil-Europa

Akademie Brasil-Europa

für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

 


Themen
Auswahl von Fragenkomplexen, die in rezenten Studienprojekten der A.B.E. behandelt wurden

Schumann in kulturwissenschaftlich orientierter Musikforschung: Deutschland/Brasilien (2010)

Zum 200. Geburtstag von Robert Schumann (1810-1856) wurde 2010 vom Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes e.V. eine Reihe von Studien durchgeführt, die vor dem Hintergrund der kulturwissenschaftlichen Orientierung seiner Arbeiten zu verstehen sind. Das im "Europäischen Jahr der Musik 1985" nach deutschem Recht eingetragene Institut der portugiesischsprachigen Musikforschung im deutschsprachigen Raum geht auf die in São Paulo 1968 registrierte Organisation für Studien von Kulturprozessen zurück, die in Erfüllung eines ihrer in der Satzung festgelegten Ziele ein Zentrum kulturwissenschaftlicher Musikforschung errichtete.

Die Organisation strebte eine Erneuerung der Kulturstudien durch die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Prozesshaftes mit dem Ziel der Entwicklung einer transdisziplinären Kulturforschung an. Dementsprechend war ihr Zentrum das erste Institut für Musikforschung mit einer explizit definierten kulturwissenschaftlichen Ausrichtigung.

Angestrebt wurde eine kulturwissenschaftliche Orientierung der Musikwissenschaft als Ganzes, nicht etwa die Präponderanz einer Musikethnologie, die zuweilen als Vertreterin schlechthin der kulturwissenschaftlichen Musikforschung erscheint. Dieses Anliegen betraf dementsprechend auch die historische Musikforschung, die selbstverständlich in globalen Zusammenhängen - und nicht nur auf Europa beschränkt - zu verstehen ist.

Die Kommemorationen des Schumann-Jahres, die in verschiedener Hinsicht auch Themen berücksichtigten, die die Rezeption Schumanns außerhalb Europas betrafen und sogar künstlerische Experimente Portugals einschlossen, bei denen Kunst-, Volks- und Popularmusik in Beziehung gesetzt wurden, führten zur Einsicht in die Notwendigkeit, den Komponisten und sein Werk unter der Perspektiv der Studien von Kulturprozessen im Kontext der Beziehungen Deutschland/Brasilien zu betrachten.

Nach vorbereitenden Seminaren, die den Stand der Schumannforschung und die Berücksichtigung der neuen Publikationen zum Schumannjahr zum Ziel hatten, wurden einige Themenkomplexe hervorgehoben, die bei den Studien besonders berücksichtigt werden sollten.

Ausgehend von der bemerkenswerten Tatsache, dass Schumann in Brasilien eine bedeutende Stellung in der musikerzieherischen Bewegung nationalistischen Charakters des "Orpheonischen Gesanges" der 30er und 40er einnahm, die eng mit dem Namen von Heitor Villa-Lobos verbunden ist, wurde die Frage nach den weltanschaulichen Gründen aufgeworfen, die eine solche Bedeutung Schumanns in einem Repertoire erklären, das volkserzieherische Funktionen zu erfüllen hatte.

In diesem Sinne wurde die Aufmerksamkeit auf das Menschenbild in den Auffassungen Schumanns und die Wege seiner Rezeption im kulturpolitischen Kontext Brasiliens untersucht. Hierbei erwies sich als besonders aufschlussreich, dass in der deutschen Gemeinde von São Paulo in den ersten Kriegsjahren mit erheblichem Aufwand und unter ausdrücklicher Genehmigung des Deutschen Generalkonsulats die "Pilgerfahrt der Rose" von R. Schumann aufgeführt wurde. Die vorhandenen Quellen stützen nicht nur die naheliegende Erklärung, dass Schumann als "deutscher Komponist" schlechthin politischen Zielen des Zusammenschlusses der Deutschen im Ausland diente; sie lassen auch schillernd erscheinende Verweisungen auf Vorstellungen spiritueller, ja esoterischer Natur erkennen, die die Teilnahme von Musikern aus theosophischen bzw. anthroposophischen Kreisen erklären. Ohne sich explizit mit nationalsozialistischer Kunst zu verbinden, konnten sie in einem mehrdeutigen Spiel am Leben der deutschen Kolonie und am allgemeinen Musikleben São Paulos teilnehmen.

Diese kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Schumann in seinem Kommemorationsjahr konnten nicht eine aktuelle Polemik übersehen, die signifikante Veränderungen seines Bildes - und vor allem das seiner Frau Clara - mit sich bringt. Die - nicht ohne sensationalistische Züge geführte - Diskussion über die mentale Gesundheit des Komponisten, der unter tragischen, ethisch verwerflichen - da möglicherweise medizinisch unbegründeten - Umständen in einer psychiatrischen Klinik gestorben ist, hat erhebliche Konsequenzen für eine Musikliteratur, die wie in Brasilien stark von romantischen Vorstellungen geprägt ist. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dieser Diskussion wurde die ehemalige Klinik in Endenich besucht und der Rolle krankhafter Geisteszustände in der Romantik im Kontext der Stadt Colditz nachgegangen, die mit wichtigen Personen im Leben Schumanns verbunden ist.
Ein besonderes Anliegen des Studienunternehmens war die kulturgeschichtliche Berücksichtigung der Landschaften, in denen sich das Leben Schumanns abspielte. An erster Stelle wurden die Beziehungen zwischen Sachsen und Brasilien anhand einiger Aspekte betrachtet. Es wurde versucht, den Dimensionen und auch den problematischen Konsequenzen der Vorstellungen über die "Davidsbündler" unter besonderer Berücksichtigung der Auffassungen von Theodor Uhlig (1822-1853) und der Auswirkungen romantischer Vorstellungen des Kampfes gegen Philistier in der Musikgeschichte Brasiliens nachzuspüren.

Eine besondere Beachtung erfuhr der in der von Schumann geleiteten Zeitschrift veröffentlichte Aufsatz über den Fandango, der als der Tanz schlechthin vorgestellt wird. Im Licht dieses Aufsatzes und der Erkenntnisse der Fandango-Forschung Brasiliens wurde seine Sonate op. II betrachtet.



Veröffentlichte Texte

Zyklus am Rhein

Das Menschenbild in den Auffassungen Schumanns und seine Präsenz in der Orpheonischen Bewegung Brasiliens

"Von fremden Menschen und Ländern". Schumannstudien im Rahmen der Beziehungen Deutschland-Brasilien und Brasilien-Deutschland

Medizinische Aspekte des Schumann-Bildes und ihre Auswirkungen auf kulturhistorische, ästhetische und interpretatorische Überlegungen. Bedeutung der Debatte über die mentale Gesundheit von Schumann


Zyklus in Sachsen - zwischen Zwickau und Leipzig

Beziehungen zwischen Sachsen und Brasilien zur Zeit von Robert Schumann. Friedrich August II. (1797-1854) und die kaiserliche Familie Brasiliens

Zu Religion und Spiritualität bei Schumann und die Frage der Hermeneutik in Auffassungen und in der Analyse

Die "Davidsbündler" von Schumann und die Dimensionen von Auffassungen über den Kampf gegen die Philister in der Kultur. Theodor Uhlig (1822-1853)

Schumann in den Beziehungen zwischen kirchenmusikalischen Auffassungen und Romantik in katholischen und protestantischen Kontexten im Licht brasilianischer Forschung

Zu morbiden Atmosphären und Fantasmagorien in der Romantik. Dr. Carus und Agnes Carus aus Colditz im Leben Schumanns

Der Fandango in der Neuen Zeitschrift für Musik und die Sonate op. 11 von Schumann

Die Pilgerfahrt der Rose von Robert Schumann in Brasilien in den Jahren des Zweiten Weltkrieges. Ethisch-kulturelle Probleme in Situationen der Gleichschaltung unter Einfluss diplomatischer Vertretungen





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