Brasilianische Musikakademie und Akademie Brasil-Europa.

Akademie Brasil-Europa

für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft

 


Berichte
Auswahl aus Tagungen, Kolloquien und Sitzungen


Brasilianische Musikakademie und Akademie Brasil-Europa
Podiumsgespräch bei der Stiftung Rui Barbosa, Rio de Janeiro 2004

Im Anschluss an das Internationale Kolloquium Interkultureller Studien, das 2004 in São Paulo stattfand (siehe Bericht), fand in Rio de Janeiro eine gemeinsame Sitzung der Academia Brasileira de Música und der Akademie Brasil-Europa statt. Die Begegnung, die auf Einladung der Academia Brasileira de Música erfolgte, bestand aus einer offenen Podiumsdiskussion mit anschließendem Konzert im Auditorium der Stiftung Rui Barbosa. Sie wurde eröffnet von Frau Prof. Mercedes Reis Pequeno, ehemalige Direktorin der Musiksektion der Nationalbibliothek Brasiliens und eine der bedeutendster Experten für Bibliothekswissenschaften, die als  Vertreterin Brasiliens in internationalen Gremien für Archivistik und Quellenforschung wirkt. Geleitet wurde die Sitzung vom Komponisten Mtro. Edino Krieger, Vorsitzender der Brasilianischen Musikakademie. Als Vertreter Portugals und im Namen eines neu eingerichteten Museums portugiesischer Musik nahm Dr. Manuel Ivo Cruz am Gespräch teil. Von den anwesenden brasilianischen Komponisten und Musikern ist Prof. Dr. Ricardo Tacucchian zu erwähnen, der mit der A.B.E. in vieler Hinsicht kooperiert.
Die Academia Brasileira de Música ist eine Gründung von Heitor Villa-Lobos und untrennbar mit seinem Namen, seinem Leben, seinem Werk, seinen musikerzieherischen Leistungen und seinen Kulturanschauungen verbunden. Als Vermächtnis des größten brasilianischen Komponisten ist sie damit von einer bestimmten Epoche der politischen und kulturellen Geschichte Brasiliens geprägt. Dieses Erbe begründet ihre Bedeutung als die wichtigste Musikinstitution, die herausragende Vertreter des Musiklebens Brasiliens vereint. Dieser geschichtliche Bezug auf den großen Komponisten und seine Zeit kann sich allerdings auch auf Erneuerungsbestrebungen erschwerend auswirken. In diesem Sinne wurde der Beitrag mit dem Titel "Ein Requiem für Villa-Lobos" aufgenommen, den Prof. Dr. Ricardo Tacucchian für die Tagung Brasil 2001 der A.B.E. verfasst hatte.

In den letzten Jahren ist eine erstaunliche Intensivierung der Aktivitäten der Academia Brasileira de Música zu verzeichen. Eine große Anzahl von Publikationen und Tonaufnahmen sowie die Herausgabe der Zeitschrift "Brasiliana" zeugen für diese Entwicklung. Es war eines der Ziele der Begegnung, bei der Podiumsdiskussion zu erfahren, wie die Institution in ihrer Erneuerung kulturtheoretisch mit dem gedanklichen bzw. anschaulichen Erbe von Villa-Lobos umgeht.

Die Akademie Brasil-Europa verfolgt keine musikalischen, sondern kulturwissenschaftliche Ziele, die sie eng mit der Erforschung der Forschung und der Netzwerke der an ihr Beteiligten verbindet. Dennoch spielen seit der Gründung der Organisation für Studien von Kulturprozessen 1968, die auf eine Bewegung zur Erneuerung der Kulturstudien zurückging, Musikfragen eine herausragende Rolle. Eine kulturwissenschaftlich orientierte Musikforschung ist Ziel des mit der Akademie verbundenen Instituts für Studien der Musikkultur des Portugiesischen Sprachraumes e.V. Mehrere Persönlichkeiten, die der Academia Brasileira de Música angehören, haben maßgeblich an Veranstaltungen und Projekten der A.B.E. mitgewirkt.
Die Beziehung der Brasilianischen Musikakademie zur A.B.E. leitet sich aus der Tradition ab, der sich die A.B.E. verpflichtet fühlt und die sie fortsetzt. Diese Tradition ist eng mit dem Namen von Martin Braunwieser verbunden, der von Villa-Lobos 1945 als einer der ersten Persönlichkeiten des brasilianischen Musiklebens eingeladen wurde, als Gründungsmitglied der Musikakademie anzugehören. Braunwieser trug bereits zu Beginn der 30er Jahre zu Projekten von Villa-Lobos bei und war in der mit dessen Namen verbundenen "orpheonischen Bewegung" besonders aktiv. Dennoch sind die Unterschiede zwischen beiden Persönlichkeiten und ihren Auffassungen nicht zu übersehen. Braunwieser war von den Bestrebungen erfüllt, die nach dem Zusammenbruch des alten Europa mit dem ersten Weltkrieg in Salzburg eine Erneuerung der Kultur auf ethischen Grundlagen zum Ziel hatten. Er vertrat Gedanken eines Humanismus, die durch die Betonung der Ethik und somit universeller Prinzipien mit nationalistischen Doktrinen kaum vereinbar waren. Mit der Aufführung der "Schöpfung" Haydns in portugiesischer Sprache in Zeiten nationalistischer Euphorie Brasiliens der dreißiger Jahre setzte Braunwieser ein Zeichen seiner Gesinnung. Dieses von der Ethik geprägte Kulturverständnis, das in der Bach-Gesellschaft São Paulos im Geiste Albert Schweizters wirkte, unterschied sich von dem der "Bachianas Brasileiras" von Villa-Lobos, ein Spannungsfeld, dem die A.B.E. im Jahre 2000 eine Tagung gewidmet hatte.
Auch die A.B.E. fühlt sich stets dazu verpflichtet, sich mit der Tradition auseinanderzusetzen, die sie fortsetzt.. In den Unterschieden der Auffassungen und in den Spannungen zwischen den Mentoren beider Institutionen scheint ein grundlegendes Problem zu liegen, das differenzierte Untersuchungen erfordert. Da sich beide Institutionen der Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Entwicklung als Voraussetzung für eine reflektierte Arbeit in der Gegenwart widmen, sollen diese Beschäftigung mit der Vergangenheit und die daraus resultierenden Prozesse gemeinsam verfolgt werden.

Die Sitzung wurde mit einem Konzert von Maria Bragança (Saxophon) und Antonio Carlos Magalhães (Klavier) musikalisch umrahmt.





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